Der Kampf um die Krone des digitalen Fußball ist vergleichbar mit der ewigen Fehde zwischen Lionel Messi und Christiano Ronaldo: Beide sind große Kicker, beide machen vieles richtig und wenig falsch. Auch bei EAs Fifa und Konamis Pro Evolution Soccer verhält es sich meist so. In diesem Jahr schafft es Konami mit dem aktuellen Titel ihrer Fußballsimulation, selbst Fifa-Fans den grünen Rasen aus japanischer Fertigung schmackhaft zu machen. PES 2019 macht viel viel mehr richtig als noch vor Jahresfrist: Das Spiel wurde verlangsamt (im Gegensatz zur Demo dann aber doch im finale Produkt wieder ein wenig – unnötig – beschleunigt), die Ballphysik bleibt großartig, das Drumherum (nicht die immer noch altbackenen Menüs!) sieht so schick aus wie nie zuvor, die Stadien sind grandios umgesetzt. Die Spieler, für die man eine Lizenz hat, wurden zu großen Teilen originalgetreu digitalisiert – samt spielerischer Eigenheiten. Das alles macht schon eine Menge Spaß. PES setzt seit jeher auf größere Handlungsfreiheit als etwa der Konkurrent aus dem Hause EA Sports. So sind manuelle Pässe eine Herausforderung, wenngleich man zumindest beim normalen Kurzpass auch hier immer noch den Eindruck hat, der Pass würde zu leicht an den Mitspieler gebracht. Unterm Strich sind mit PES andere, freiere Spielzüge möglich. Und hier kommen Offline-Spieler in eine Bredouille: Schaltet man alle Spielhilfen ab, spielt es sich am Besten, aber bekommt schnell den Eindruck – vor allem bei schlechteren Gegnern – , dass die KI eben nicht “manuell” spielt. Das typische KI-Spiel sieht halbhohe Pässe in den freien Raum auf die Flügel vor, wo der Rechenknecht IMMER den Ball gescheit verarbeitet und in die Mitte spielt. Häufig ergeben sich daraus Tore, häufig enden Spiele 0:1, weil der menschliche Makel es eben verursacht, dass man nicht ständig 100-prozentig passt, schießt, flankt. Das Frustpotential ist hier hoch, zumal auch ein altes Manko von PES in Offline-Partien gegen die KI weiter präsent ist. Die KI foult sehr sehr selten (mit höherem Schwierigkeitsgrad etwas häufiger) und es gibt nahezu keine Verletzungen. Sehr selten (in 50 Spielen 2x beim Testen) musste ein Kicker das Feld verlassen. Das ist arg wenig und der von Konami gerne vielbeschworene Realismus ist hier nicht zu spüren. Nicht immer verhält sich meine Mitspieler-KI, wie ich es erwarten würde, steht zu weit weg vom Gegner, obwohl ich in den vielfältigen taktischen Möglichkeiten “eng stehen” angewählt habe. KI steht – auch bei Fifa – immer noch eher für Künstliche Irritation. Während Fifa gerne als Fast Food bezeichnet wird (auch, wenn durch die Möglichkeit größter Individualisierung per Slider-Einstellungen auch dort ein Festessen zubereitbar ist), ist PES aus der Box heraus schon sehr komplett, was die spielerischen und taktischen Möglichkeiten angeht. Trotzdem: Ein Slider-System wie beim Gegner, mit dem man einzelne Aspekte (etwa die Sprintfähigkeit der Kicker) anpassen darf, könnte dieses Spiel für den Einzelspieler perfekt machen.
Im One-on-One gegen echte Gegner – online wie offline (die Server zeigten sich bisher weitesgehend stabil) sind viele der oben beschriebenen Probleme nicht existent, weshalb hier das Game seine Stärken voll ausfahren kann. Auf das Problem der fehlenden Linzen will ich hier nicht groß eingehen. PS4 und PC-Spieler wissen, wie und wo man aktuelle Option Files bekommt. XBoxler schauen leider in die Röhre.
Die Spielvarianten sind wieder üppig: Ob 1on1, oder 3vs3 an einer Konsole, Online-Liga, Offline-Pokale – alles ist möglich. Leider kann man nach einem Freundschaftsspiel nach Abpfiff nicht kurzerhand ein Rückspiel “vereinbaren”. Ansonsten ist der Spielumfang vorbildlich. Was mir weiterhin fehlt? Stimmung! Die Atmosphäre in den Stadien ist nicht Champions League-reif. Verhaltene “echte” Fangesänge bei lizensierten Teams sind dabei, der Rest brummt unspektakulär vor sich hin. Hier könnte man sich von der überragenden Stimmung bei den Fifa-Spielen eine Scheibe abschneiden. Geklaut, äh inspiriert von Fifa hat Konami eine Schnellwechseloption ins Spiel eingebaut. Diese ist in Ordnung, im Gegensatz zum großen Gegner fehlt hier aber der Vorschlag des Rechenknechts, welcher Spiel ausgewechselt werden sollte (weil zB mit einer Karte vorbelastet) und, wer ihn am besten ersetzen kann.
Unterm Strich scheint die Wahl des Fußballspiels in diesem Jahr so schwer wie lange nicht. Da Fifa noch auf sich warten lässt, kicken wir einfach erst einmal mit PES weiter. Zeitverschwendung ist das auf keinen Fall…
Fazit: Große Handlungsfreiheit, wenig Lizenzen, tolle Stadien – PES greift Fifa an – dieses Mal wirklich
Wer will, kann sich nachfolgend eines meiner (grausamen) Kicks samt Elferschießen gegen die KI anschauen 😀
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.