Der (digitale) Blätterwald rauscht seit der Veröffentlichung von Cyberpunk 2077 von CD Project Red wie ein Wasserfall. Bugs, Grafikpeinlichkeiten, Steuerungsfails, eine katastrophale Performance – die Vorwürfe und Videos zu diesen Problemen sind massiv. So massiv, dass Sony beispielsweise den Titel vorerst aus dem Store entfernte, dass es Sammelklagen von Investoren geben soll, ja, dass Spieler ihr Geld zurück verlangen.
Und wie fällt das RocknRoll-Reporter-Testfazit nach rund 30 Stunden Spielzeit aus? Nicht so ernüchternd, wie er nach fünf Spielstunden formuliert worden wäre. Doch fangen wir von vorne an. Das Muster haben wir für die Next Gen-Konsole von Microsoft bekommen und dem Vernehmen nach, soll dies die performanteste Plattform für das höchst ambitionierte und vom Umfang her riesige Spiel sein. Gleich zu Beginn ist jedoch die Überraschung groß: Die Grafikqualität schwankt stark. Von atemberaubend aussehenden Bladerunner-esken Stadtteilen, die im Jahr 2020 durchaus wettbewerbsfähig drein schauen, bis hin zu PS3-artigen Außengeländen ist hier alles vertreten. Insgesamt ist die Grafik damit nicht Next-Gen – kein Wunder, spielen wir (alle) doch auch auf Xbox One Series X oder PS5 die Last Gen-Version. CD Project Red hat kurz vor dem x-fach verschobenen Releasetermin bekannt gegeben, dass es vorerst gar keine Fassung für die neueste Konsolengeneration gibt. Schon ein ziemlicher Brummer…
Doch es ist, wie es ist und wir schlagen uns mit V, dem Streetkid (in unserem Fall – es sind mehrere “Biografien” wählbar) durch Night City. Als Blade Runner-Fan ist man bei Cyberpunk bestens aufgehoben. Doch bleiben wir noch kurz bei den Problemen. Die Stadt und die Vororte sind riesengroß. An fast jeder Ecke stehen in Night City Leute rum, palavern oder haben kleine Shops. Doch was nützt diese Masse an Bewohnern, wenn die Interaktion mit ihnen schlichtweg minimal ist? Ansprechen kann man jeden, bekommt jedoch ausschließlich nichtssagende One-Liner zurück. Ja, sogar ein nettes Gemetzel in der Mittagspause macht hier – im Gegensatz zu GTA etwa – überhaupt keine Laune. Die wenigsten Bürger wehren sich, die Polizei verfolgt einen gerade mal zwei, drei Häuserblocks weit. So ist das freie Cruisen recht langweilig, was uns zu den Missionen und der Story bringt. Letztere ist in der Tat stark und auch die vielen, vielen Nebenmissionen sind abwechslungsreich. Das Gefühl der Linearität verfliegt dadurch aber leider nie.
Open World ohne offene Welt könnte man es nennen. Immerhin gibt es auf den vom Entwickler eingeschlagenen Wegen eine ganze Menge zu tun. Dass man ständig irgendwelche Gegenstände fehlerhaft in der Luft schweben sieht, geschenkt. Irgendwann tut man das als “Fehler in der Matrix” des Neuromoduls von V ab und kann Cyberpunk dennoch genießen. Es ist einfach eine ziemliche Schande, dass CD Project Red so eine technische Fehlleistung abgeliefert hat, denn das Spiel an sich… ist grandios gut.
Oder wäre grandios gut, wenn es 1a laufen würde. Night City steckt nämlich voller Überraschungen. Skippy, die sprechende und vertötende Waffe (mit der deutschen Stimme von Spongebob!) ist eine davon. Cyberpunk hangelt sich derzeit von Patch zu Patch. Der letzte mit der Nummer 1.06 erschien am 23. Dezember und hat unter anderem einen der schlimmsten Bugs behoben. Speicherstände werden nun nicht länger zerstört.
Das konnte nämlich vorkommen und es zeigt, wie sehr hier der Veröffentlichungsdruck nach mehreren Verschiebungen auf dem Entwickler gelastet haben muss. Nachdem man sich in den ersten Stunden durch das Spiel gequält hat, kommt man schließlich immer besser ins Setting.
Gerade die vielen Tech-Spielereien sind gut umgesetzt, aber die Bedienung ist oft kompliziert. Ich denke, dass dies beabsichtigt ist, um dem Spiel das Flair fortgeschrittener Technik einzuimpfen. Eins ist klar: Man muss sich sich drauf einlassen. Dann verbringt man 100+ Stunden in Night City.
Über die Story will ich hier nicht zu viele spoilernde Worte verlieren. Nur so viel: Keanu Reeves (mit seiner Original-Synchronstimme) als Johnny Silverhand zu engagieren, ist eine fantastische Idee gewesen. Im Prinzip ist Cyberpunk das Spiel, welches ich gerne damals nach dem ersten Anschauen von Blade Runner oder nach dem Lesen von Gibsons Neuromancer verschlungen hätte.
Heute fasziniert diese Tech-Welt weiterhin enorm und Cyberpunk 2077 wird am Ende des Tages (sprich: nach dem alle groben Probleme behoben wurden) in einer Reihe mit diesen Zukunftsvisionen stehen.
Fazit: Höchstnote – wenn einmal die Probleme gefixt sind. Bis dahin: Hassliebe
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.