Eine Kurzgeschichte
Es ist dieses Licht, dieses schreckliche Licht. Es durchschneidet meine Träume wie eine dieser legendären japanischen Klingen. Einmal rein gelassen, füllt das grauenhafte Weiß die gesamten drei Quadratmeter meines Gefängnisses. Es scheint den Raum platzen lassen zu wollen. Und mich gleich mit. Durch alle Körperöffnungen versucht das Licht zu fließen, will meinen Kopf zum Implodieren bringen. Seitdem sie mich hier festhalten, lassen sie jede Nacht alle zwei Stunden das überbordende Licht in den Raum. Und dann diese Schläge, diese Folterungen, sozusagen als Sahne auf der Torte, als Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen bringen soll. Doch gebrochene Finger, zerquetschte Hoden und herausgerissene Fingernägel können mir nichts anhaben. Ich schalte den Verstand aus, lasse alles über mich ergehen.
Was wollen die nur von mir? Zwei Männer wechseln sich ab, Fragen werden nicht gestellt, ein Lösegeld nicht verlangt. Von wem auch? Meine Eltern starben bei einem Verkehrsunfall vor vielen Jahrzehnten, da war ich gerade einmal zwölf Jahre alt. Die Bremsen hatten versagt, der Ford raste in vollem Tempo in einen Tanklaster. Ich musste sie nicht einmal identifizieren. “Das kann nur noch anhand der zahnärztlichen Röntgenbilder gemacht werden”, flüsterte der Deputy damals ungeniert. Dabei hat er gelacht. Dieser Kretin. Nicht, dass meine Eltern es nicht verdient hätten, in den Flammen geröstet zu werden, doch etwas mehr Respekt vor dem Tod hätte er schon zeigen können. Es würde mich interessieren, ob einer seiner Kollegen ebenso respektlos über den Tod philosophiert hat, als er seinen Kumpel ein gutes halbes Jahr später in einer dunklen Gasse mit seinem eigenen, abgeschnittenen Geschlechtsteil im Mund aufgeschlitzt gefunden wurde.
Jeder bekommt, was er verdient – das hat mein Großvater immer gesagt. Und vielleicht hatte der alte Bastard ja recht. Ich hatte es anscheinend verdient, seinen Schwanz lutschen zu dürfen. Fast jede Nacht kam der alte Bauer hoch in mein Zimmer, fast jede Nacht ließ er mich seinen ekligen Schleim schlucken. Aber vielleicht hatte er trotzdem recht. Eine dieser riesigen bissigen Ratten, die man so oft auf Bauernhöfen antrifft, hatte es eines Tages irgendwie geschafft, in die Kloschüssel zu gelangen und riss dem lieben Opa ein mordsmäßiges Stück aus seinem Gemächt als dieser sich auf die Schüssel hockte. Dass er durch den Blutverlust nicht zur Hölle ging, verdankte er nur dem zuvor einsetzenden Herzinfarkt, der den Alten vor vielen Qualen bewahrte. Wenn ich es recht bedenke, hat er dann wohl doch nicht bekommen, was er verdient hätte. Er ist viel zu schmerzlos dahingeschieden. Er hätte leiden müssen, viel mehr leiden. So wie seine Frau gelitten hat, als er sie an die Neger verkauft hat. „Es waren rauhe Sitten in Texas damals“, das hat er immer wieder gesagt. Und, dass er das Geld dringend gebraucht hatte, um neue Schweine für seine Farm zu kaufen. Dabei war er doch selber eins.
Doch ich schweife ab. Sie wollen kein Lösegeld, vielleicht wollen sie Erlösung. Doch, wer könnte sie für was erlösen? Bei der Nummer, die sie hier abziehen. Das Licht, es zerbricht mich jeden Tag ein Stückchen mehr. Sie wissen es nicht oder wissen sie es doch? Ich hoffe nicht, sie denke, dass es die Folterungen sind, die Demütigungen, die meinen Verstand vernichten. Doch mein Verstand ist messerscharf, noch. Wenn nur dieses Licht nicht wäre. Es sind die Nächte, die diesen Wahnsinn mit sich bringen, die Tage sind der reinen körperlichen Qual untergeordnet. Ich werde einmal täglich rausgelassen, komme in einen Hof oder einen Raum – je nach Wetterlage – wo meine Peiniger schon auf mich warten. Sie schlagen mich, spucken mich an, nennen mich ein nutzloses Stück Fleisch. Doch darüber kann ich nur lachen. Sie alle sind nicht besser als ich, im Gegenteil.
Es sind schwache Menschen, die nun die Chance haben, einen äußerlich wehrlosen Mann zu bestrafen. Ihn für ihre eigenen Schwächen büßen zu lassen. Denn ICH war immer standhaft. ICH habe nie Drogen genommen, ICH habe nie meine Nächte in Spielcasinos verbracht. ICH bin ein starker Mann, immer noch.
Wenn nur dieses Licht nicht wäre. Gestern Nacht bei Lichtattacke zwei (oder war es drei?) glaubte ich, es würde meine Zahnfüllungen sprengen, meinen Kiefer herausreißen. Ich kann meine Augen nicht verschließen vor dem schneeweißen Horror, sie sind mit Klebeband fixiert. Nur nachts. Wenn der Morgen graut, die ersten Vögel ihr Lied trällern, kommt einer der Männer, die mich hier festhalten und entfernt die Klebestreifen. Ich bin sicher, er wird dafür sterben. Er wird bekommen, was er verdient. Früher oder später, grausam oder grausamer. So wie es immer wieder geschieht. So wie es in der Halifax Grammar School in Kanada passiert ist. Ich war 15. Meine Eltern waren schauten sich dank der defekten Bremsen schon längst die Hölle von Innen an, weshalb ich von Texas nach Kanada zu meiner Tante ziehen musste, um dort eine Schule zu besuchen. Ich ging gerne zur Schule, ich war da immer schon anders als andere Kinder in meinem Alter. Anders, anders als alle, in allen Belangen. Die Zeit in Kanada war die schönste Zeit in meinem Leben, wenn ich jetzt – da das Licht bald wieder zurückkommt – drüber nachdenke.
Die Schule hatte eine eigene Abteilung für Künste, ich interessierte mich für die Malerei und das auf eine sehr freie ungewöhnliche Art. Inspiriert von den Lampenschirmen aus Menschenhaut bei den Nazis, wollte ich auf Schweinehaut malen. Ich schlachtete also ein Schwein, weidete es aus und trocknete dessen Haut. Ich sah mich in der Tradition eines Künstlers wie Dali, dessen Surrealität ich nicht auf das Gemalte, sondern auf das Material übertragen wollte.
In der Tat schaffte ich es mit einiger Anstrengung eine glatte ledrige Leinwand zu erstellen, schlachtete einige Hühner und erstellte mit dem Blut an meinem Pinsel einen grandiosen Sonnenuntergang. Ich trug das Bild mit in den Unterricht zu Professor Finch, einem unangenehm riechenden alter Mann. Sein erstes Urteil war, dass es sich um ein beeindruckend lebendiges Bild handelte. Als ich ihm dann erzählte, dass diese Sichtweise faszinierend sei, da das ach so lebendige Bild ja ausschließlich aus eigenhändig getötetem Material entstanden sei, übergab er sich. Das wäre nicht schlimm gewesen, außergewöhnliche Kunst soll außergewöhnliche Reaktionen hervorbringen. Doch, ich bekam einen Verweis, eine Sechs und eine Anzeige wegen Tierquälerei. Ein Ignorant, dieser Finch. Aber auch er bekam, was er verdiente. Er erstickte eines Tages in seinem eigenen Haus im Schlaf als Folge einer undichten Gasleitung in seiner Küche. Er bekam, was er verdiente. Er bekam, was er verdiente. Er bekam einen unspektakulären Tod, so wie sein Leben unspektakulär gewesen war. Großvater hat recht.
NEIN. Hat er nicht. Wie kann der alte Stecher recht haben? Was verdiene ich? Verdiene ich es, dass dieses nervenzerreißende Licht in jeder Nacht meinen Geist auf eine schwere Probe stellt, ihn einen weiteren Monat altern lässt? Er kann einfach nicht recht haben. Verdiene ich es, dass mir vor einigen Stunden alle Zähne gezogen wurden? Mit einer Klempnerzange? Mit dem ganzen Blut hier, könnte ich van Goghs Sonnenblumenfelder reproduzieren. Verdiene ich es, der nie Drogen genommen hat, dass mir Halluzinogene ins Essen gestopft werden? Ein Horrortrip nach dem anderen? Verdiene ich das, alter Mann? Dreh dich in deinem beschissenen Grab um und schrei es mir ins Ohr. Verdiene ich eine solche Behandlung? Bin ich etwa ein Mensch wie der Sergeant meiner Einheit in Vietnam? Ein Typ, der seine Untergebenen wie Dreck behandelt? Einen Fehler habe ich gemacht, einen einzigen. Ich habe eine dieser schlitzäugigen Dreckshuren angefasst, weil mich der Trieb übermannt hatte. Das kann passieren, meine ich, wenn man ein Jahr lang von Charlies Spießgesellen aus jeden verkackten vietnamesischen Fuchsbau beschossen wird, während Napalmschwaden das Hirn vernebeln. Ich wollte einfach einmal wieder mein Ding in eine Frau stecken statt in den Arsch des Kompaniedeppen. Sergeant Mike Miller hat mich dafür vor das Kriegsgericht bringen wollen, er hat mir gedroht. Was wollte er sein? Der einzige anständige Amerikaner in diesem unanständigen Krieg? Anständig in die Luft ist er jedenfalls geflogen, als das eigentlich zuvor von uns geräumte Minenfeld eine einzige Überraschung für den Sergeanten bereit hielt. Er bekam, was er verdiente.
Was musste er auch immer vorgehen? Ohne Führung taten wir uns danach allerdings deutlich schwerer und gelangten in vietnamesische Gefangenschaft. Gefangen, mal wieder. Dieses Mal nicht in der Familie, sondern in einem fremden Land. Und alles was recht ist, für diese Zeit bin ich Gott- so es ihn denn gibt – dankbar. Sie hat mich auf die Folter hier vorbereitet, nicht auf das Licht, auf die körperliche Folter aber schon. Es gab dort schlichtweg kein Licht. Wir lebten, wenn man es so nennen kann, in einem Loch unter der Erde. Kleine Maulwürfe, diese Vietnamesen, das kann ich Ihnen sagen. Sie hatten Tricks drauf, dagegen ist Guantanamo ein kleiner verspielter Kindergarten. Sie haben mir einen Schnitt in den Unterleib gemacht, eine Truppe winziger Spinneneier eingelegt und es zugenäht. Nur, um zu sehen was passiert. Soll ich es Ihnen sagen? Nicht viel. Die meisten Spinnen starben in meinem Blut, einige krochen aber dennoch aus der Stecknadel kleinen Wunde und sorgten für eine mächtige Blutvergiftung, die mir fast das Leben gekostet hätte. Fast! Denn ich bin hier, stark und gestärkt, ungebrochen. Das war nicht immer so. Nach Vietnam habe ich einem Psychoonkel den ganzen Quatsch erzählt, das war eine der Auflagen, um mich vor dem Kriegsgericht zu bewahren. Selbstherrlichkeit herrscht in unserer Armee nun einmal. Zugedröhnt von Psychopharmaka habe ich auf der Couch (in Wahrheit war es ein Sessel, Army-Psychos verdienen nicht genug Geld für eine Couch) meine ganze Vergangenheit entfesselt , sogar das mit den beiden Mädchen meiner damaligen Freundin. Ich habe alles rausgelassen, auf einiges davon war ich nicht stolz, keineswegs. Aber Menschen machen Fehler, Menschen sind manchmal schwach. Es war, als würde ich eine Biographie schreiben lassen. Ich hab dem Psychoheini einfach mein ganzes Leben diktiert, bevor er starb. Wussten Sie, dass Psychologen akribische Aufzeichnungen machen und die Schweigepflicht nach deren Tod erlischt?
Das Licht kommt. Wenn nur nicht dieses Licht wäre. Gleich ist es wieder soweit. Die Tür geht auf, ich sehe… Kein Licht. Ein Mann in schwarzer Kutte betritt den Raum, ein anderer verbindet mir die Augen. „Wir gehen ans Licht du perverses zahnloses Schwein“, flüstert er. Ich sehe kein Licht, verbundene Augen, es ist so schön, so herrlich befreiend. Sie setzen mich auf einen Stuhl, ich sehe nichts, es ist so schön.
Ich höre ein fast widerwillig vorgetragenes Gebet, dann das Klacken eines Schalters, das Summen der Elektrizität. Ich bekomme, was ich verdiene.
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.