Ein fast 22-stündiges Hörspiel? Wer kann das denn bis zum Ende durchhören? Wahrscheinlich die gleichen Menschen, die die Bücher von Tad Williams verschlungen haben. Der Gute ist ja nicht dafür bekannt, sich kurz fassen zu können. Dementsprechend musste die Otherland-Saga auch aufwändig vertont werden.
Herausgekommen ist dabei das größte Hörspielprojekt der Radiogeschichte. Die Geschichte ist schnell erzählt, aber deshalb nicht weniger verwirrend: Die reichsten und mächtigsten Männer und Frauen haben Ende des 21. Jahrhunderts ein gigantisches Netzwerk geschaffen. In dieser virtuellen Welt wollen sie sich den ältesten Menschheitstraum erfüllen: das ewige Leben. Gleichzeitig fallen überall auf der Welt Kinder in ein rätselhaftes Koma. Nur wenige Menschen erkennen einen Zusammenhang zwischen dem Netzwerk und dem Zustand der Kinder. Eine Gruppe von Abenteurern macht sich auf, um das Geheimnis von Otherland zu ergründen und begibt sich damit in ungeahnte Gefahren.
Regisseur Walter Adler hat mit insgesamt 250 Schauspielern und der Musik von Pierre Oser richtig auf den Putz gehauen. Seine Inszenierung lebt durch die Stimmen von Sophie Rois, Ulrich Matthes, Nina Hoss, Sylvester Groth, Hans Peter Hallwachs, Ernst Jacobi, Judith Engel, Peter Matic und vielen anderen.
Die ursprünglichen Probleme des Originalwerks konnten jedoch auch in der Hörbuchfassung nicht beseitigt werden: Dramaturgisch hat Williams offensichtliche Schwächen, schreibt hunderte von Seiten, um auf einen Punkt zu kommen, der dann jedoch nicht schlüssig erscheinen will. Auch im Hörbuch kämpft man sich durch Stunden bis Handlungsstränge wieder aufgegriffen wurden. Die Komplexität des Buches macht auch der hörbaren Fassung zu schaffen. “Otherland” ist sicherlich nicht der Herr der Ringe des 21. Jahrhunderts – dazu ist es nicht gut, nicht innovativ genug, die Geschichte mit zu vielen Fantasy-Elementen durchsetzt. Das Cyberpunk-Szenario hat William Gibson schon vor Jahren deutlich beeindruckender entworfen. Das Hörspiel macht trotzdem deutlich mehr Spaß als die Bücher, da die oppulente Präsentation einer guten Hollywooddarbietung ähnelt – wenn man Zeit und Muße hat, sich durch die mehr als 22 Stunden zu kämpfen.
Zum Autor: Tad Williams wurde 1957 in San José (Kalifornien) geboren, studierte in Berkeley, war Sänger der Rockband Idiot, war in einer Computerfirma und als Lehrer, Manager eines Finanzinstituts, am Theater, als Schuhverkäufer und Versicherungsvertreter tätig. Er moderierte zehn Jahre lang eine Radio-Show und arbeitete an dem ersten komplett interaktiv funktionierenden Fernsehprogramm mit. Als Autor wurde er durch seinen Zyklus Der Drachenbeinthron rund um das phantastische Land Osten Ard bekannt. Seine Otherland-Tetralogie wurde weltweit veröffentlicht; allein von der deutschsprachigen Ausgabe wurden über 200.000 Exemplare verkauft. Neben seinen Fantasy-Bestsellern schreibt Tad Williams Drehbücher und Hörspiele, erfindet Computerspiele und zeichnet Comics.
Fazit: Phantastisch inszenierter Hörfilm einer dramaturgisch schwachen Buchvorlage
Verlag:
Der Hörverlag
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.