Dontnod hat mit “Life is Strange” eines der besten Indie-Spiele der letzten Jahre veröffentlicht, jetzt wagt sich das Studio an ein Action-Rollenspiel. In “Vampyr” erkundet man das London des frühen 20. Jahrhunderts, ein von der spanischen Grippe arg gebeuteltes London. Der Spieler ist ein zum Vampir gewordener Militärarzt. Man muss sich erst einmal einleben, denn das Dasein als Vampir ist kein Zuckerschlecken. Allerhand Kreaturen trachten einem nach dem untoten Leben und jede Entscheidung (beiß ich die Ratte oder saug ich den armen Menschen aus?) hat Konsequenzen im Spiel. Bewahrt man sich seine Menschlichkeit oder will man gänzlich zum Fürsten der Finsternis werden?
Für echte Vampirfans ist das Spiel auf jeden Fall eine Empfehlung, auch, wenn einem oft die technische Seite zum Teil die Freude am Durchstreifen des faszinierend dargestellten Londons vermiest. Die Grafik ist derart schwach, dass man den Eindruck hat, auf der PS3 zu spielen. Für Hightech-Fetischisten ist das also schon einmal nichts. Der Sound hingegen reißt vieles wieder raus, denn die komponierte Musik lässt schaudern und passt hervorragend zum Setting.
Die Steuerung ist nicht immer präzise (vor allem in den vielen Kämpfen), doch mit etwas Übung durchaus im grünen Bereich. Wer Vampyr spielen will, muss sich auf einen Wust an Dialogen einstellen. Hier kann (und sollte) man stundenlang mit den vielen Bürgern der Stadteile reden – wenn man sie nicht gerade von ihrem Blut befreit.
Dontnod hat vieles richtig gemacht und einige interessante Entscheidungen getroffen. So gibt es pro Spiel nur einen einzigen Speicherstand, so dass man absolut mit einmal getroffenen Entscheidungen leben muss. Etwa 20 Stunden entspinnt sich die Story um den Vampir-Doktor Reid. Einige Dinge sind aber schlichtweg ärgerlich und einem Rollenspiel nicht würdig. So kann man einfach überall irgendetwas mitgehen lassen, fremde Tagebücher und Briefe lesen – ohne, dass die Besitzer sauer werden. Warum? Ich weiß es nicht, dem Gameflow hilft das auch nicht wirklich und dem Realismus ist es wenig zuträglich. Auch nerven die immer gleichen Wege (die zum Teil sehr lang sind). Warum kein Schnellreisesystem?
Unterm Strich ist Vampyr ein tolles und gleichzeitig ärgerliches Spiel. Die Atmosphäre und Grundidee, ja auch die Kämpfe sind ganz stark, die technische Umsetzung oftmals ein Graus. Vampir-Fanatiker müssen aber trotzdem zugreifen.
Fazit: Flotte Kämpfe, grandioser Soundtrack, gute Atmosphäre – schlimme Grafik
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.