Till Reiners ist Kabarettist und Politologe. Und jetzt auch “irgendwas zwischen Günter Wallraff und Mario Barth deckt auf”, wie er sein Buch “Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen” selbst beschreibt. Zwei Gründe, es nicht zu lesen. Was er wohl meint: Er geht undercover, und oft hat er von dem, was ihm da begegnet, keine große Ahnung.
Zum Glück arbeitet er nicht mit dem Privatfernsehen zusammen, braucht keine plakativen Bilder und darf differenziert berichten. So begleitet ihn der Leser zu Bärgida, dem Berliner Ableger der Pegida-Bewegung, geht mit ihm auf einen Legida-Marsch, der Leipziger Version, und landet schließlich natürlich auch noch in Dresden, der Hauptstadt der Bewegung. Reiners spricht mit Kai, den die Finanzierung der Flüchtlingspolitik beunruhigt, der sich aber auch der Einseitigkeit der Informationsquellen bewusst ist. Er lernt Lisa kennen, Deutsch-Polin, die Angst vor Kopftüchern und sexuellen Übergriffen hat. Und davor, dass andere Menschen mehr vom staatlichen Kuchen abbekommen als sie selbst. Und Benjamin, dem fehlt es an Werten, statt mit Wut überrascht er mit Sachlichkeit.
Von der Pegida geht es, logische Konsequenz, direkt zur AfD, Parteitag in Stuttgart. Und weiter nach Pforzheim, Freital, in den sächsischen Landtag – bis hin zu seinem Fazit: Asylkritiker sind für den Autor grob in drei Typen (hatten wir nicht über 200 Seiten lang versucht, Stereotypen zu vermeiden?) zu unterteilen. 1. Die Entschleuniger, denen der Wandel einfach zu schnell geht. 2. Die Hüpfburg-Fans: “Je doller man nach unten tritt, desto höher kommt man.” 3. Die Rechten. Ohne Erklärung. Und dann liefert Reiners noch Antworten auf die (seiner Erfahrung nach) häufigsten Angst-Szenarien. Ende.
Wenn es zum Schluss heißt, “gegen Rechtspopulismus helfen: Bildung, Begegnung und Mut”, haben wir an Erkenntnis wenig gewonnen. Und wenn ich zukünftig einem Rechten begegne, fühle ich mich gewiss auch dann noch wie Reiners auf einem seiner Ausflüge: “So wie der Joker aus Batman: Aus den Augenwinkeln sieht man einen normalen Clown, und wenn man genau hinschaut, kann man erkennen, dass seine Mundwinkel eingeritzt sind und das Rot um seine Lippen Blut ist.”
Fazit: “Es ist längst nicht alles supi-toll”, das gilt für Deutschland genauso wie für das vorliegende Werk. Trotzdem: zum Nachdenken anregende Zug-Lektüre, eingängig, ohne erhobenen Zeigefinger, nicht ganz ohne Klischees, aber sicher nichts für AfDler.
Till Reiners: Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, September 2016, 266 Seiten
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.