Wir leben in einem Paralleluniversum: es ist 1970, die Beatles haben nach “Let it be” beschlossen, sich nicht aufzulösen, sondern lediglich zwei bis drei Jahre Pause zu machen. In der Zeit hören sie verstärkt das Schaffen ihrer härterrockenden Kollegen von Led Zeppelin, Queen oder gar Black Sabbath. Irgendwer findet den verrückten Frank Zappa auch richtig knorke. 1974 kommt darauf der ultimative Sgt. Peppers Nachfolger heraus. Und der liegt mir hier gerade vor.
Komisch, dass die Fab Four sich in Bigelf umbenannt haben, der silberne Rundling das Jahr 2014 als Erscheinungsdatum ausgibt und “Into the Maelstrom” heißt.
Werden wir ernsthaft: Was Bigelf hier abliefern, ist absolute Sahne. Die Paten aus der Vergangenheit habe ich bereits genannt, in der Jetztzeit gibt es noch Transatlantic und diverse Jazzrock-Anleihen, dazu eine einzige winzige Prise Monster Magnet. Der Sound ist so Old School, wie Old School man heutzutage sein kann, ohne dabei aber altbacken zu wirken.
Los geht es mit dem übergroßen Beatles-getränkten “Incredible Time Machine”, einer Nummer, die wirklich gut und gerne auf einem der psychodelischeren Fab Four-Alben hätte stehen können. Tolle Harmonien, ein catchy Refrain, der perfekte Einstieg. Dann geraten Bigelf in den “Hypersleep” und verwischen die allzu deutlichen Pilzkopfsporen wieder. Der schnelle Rocker ist ein Beweis für die enorme stilistische Vielseitigkeit der Band um Damon Fox, Duffy Snowhill und Neu-Drummer Mike Portnoy. Das geht munter so weiter “Already gone” begeistert mit grandiosem mehrstimmigen Gesang und großer Hookline, das tolle “Alien Frequency” hat sogar ein zu stampfendem Doom verarbeitetes Nirvana-Gitarrenlick an Bord. Später wird es fulminant, wenn Bigelf etwa in “Mr. Harry McQuhae” beste Beatles-Traditionen mit Queen-Harmonien und -Gitarren kreuzt. Ein feuchter Traum eines jeden Classic Rock-Fans. “Controlfreak” haut ein veritables Jimmy Page-Riffing in die Rillen, bevor Gitarrist Damon Fox zum Ende hin den Zappa macht.
Insgesamt ist nicht ein einziger Ausfall auf “Into the Maelstrom” und das Beste halten sich Bigelf dann auch bis zum Schluss auf: “ITM”, der Titeltrack powert in acht spannenden Minuten noch einmal alles aus dem Trio, was es ausmacht: mitreißende Melodien, brillanter mehrstimmiger Gesang, aufreibende Gitarren und den vielleicht besten Queen/The-Who-Bastard-Mittelteil (ab Minute 6) der Musikgeschichte.
Was nervt? Ein wenig das seelenlose Geklumpe von Ex-Dream Theater-Drummer Mike Portnoy an der ein oder anderen Stelle. Ein weniger aufdringlicher Trommler hätte mancherorten gut getan. Doch dies fällt nicht so sehr ins Gewicht, als dass es einen Punktabzug rechtfertigen würde. Man könnte der Band zwar vorwerfen, dass sie in fremden Wäldern wildert, doch Bigelf erschaffen durchaus eigene Gewänder aus alten Fetzen. Schöne obendrein.
Fazit: Eine, wenn nicht jetzt schon DIE Scheibe des Jahres
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.