1978 erschien Paul Stanleys erstes und bislang einziges Solowerk, zusammen mit den Soloscheiben aller anderen Kiss-Mitglieder und während Bassist Gene Simmons im vergangenen Jahr mit einem grausamen, aus ollen Kamellen und schlechten Coverversionen bestehenden Soloalbum vorpreschte, ließ sich Kiss-Frontmann Stanley etwas mehr Zeit. Vielleicht auch, damit seine CD nicht in einem Atemzug mit dem üblen Machwerk seines Geschäfts- und Bandpartners gennant wird. Während Simmons bei Kiss den bösen Demon spielte, war Stanley seit jeher für die großen Gesten, für überbordenden Pathos und ausuferndem Schmalz, aber auch für grandiose Balladen zuständig. Nun liegt sie also vor, die zweite Solo-CD des Hobby-Malers. “Live to win” heißt sie und die ersten drei Songs verwirren und überraschen den Hörer (und Kiss-Fan). Fette (aber etwas uninspirierte) Gitarrenriffs aus dem New Metal-Baukasten und ein zu Beginn deutlich tiefer singender Stanley lässt einen die CD wieder aus dem Player holen, um das Label zu lesen. Nein, es ist in der Tat Paul Stanley, das Starchild von Kiss, der hier mit einem völlig modernen und Kiss-untypischen Sound aus den Rillen stampft. Die zehn Songs mit einer Gesamtspielzeit von 34 Minuten wurden vorrangig mit gestandenen Hit-Songwritern wie Desmond Child, Andreas Carlsson und Marti Frederiksen komponiert und erinnern wegen ihres druckvollen, zeitgemäßen Sounds nicht oft an Klassiker des Kiss-Katalogs. Nachdem der erste Schock überstanden ist, rudert Stanley zurück in bekannte Gefilde. Mit “Everytime I see you around” präsentiert er dann als vierten Track eine seiner Trademarks, große Gefühle in Form einer packenden Ballade, Streicher im Preis inbegriffen. Dann wird mit “Bulletproof” wieder gerockt und urplötzlich sind auch die New-Metal-Düstergitarrenriffs verschwunden und statt dessen regieren Classic-Rock-Sounds und Backround-Chöre, die an die souligen Gesänge auf seiner ersten Solo-Platte von 1978 erinnern. Mit “Second to none” findet sich leider auch wieder eine der weniger erträglichen Stanley-Balladen im Stile von “Everytime I look at you” (1992 auf “Revenge”) auf der CD, was den insgesamt positiven Gesamteindruck von “Live to win” jedoch nicht schmälern kann. Durch die große Bandbreite an Sounds und Songideen scheint Paul Stanley deshalb im direkten Vergleich mit Gene Simmons Solo-CD “Asshole” zu verdeutlichen, wem der beiden Kiss-Masterminds es nach all den Jahren statt um das Geschäft noch um die Musik zu gehen scheint.
Stil: Hardrock
Fazit: Überraschend variantenreich und eigenständig
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.