Es sind magische Scheiben, die uns prägen. “Closing Time” von Tom Waits ist so eine magische Scheibe. Es ist vielleicht Tom Waits Meisterwerk, wenn man ein wenig auf Massenkompatibilität schielt, obwohl die große Masse diese Platte (und ich sage Platte, weil sie auf CD deutlich an Magie verliert) nicht zuckersüß genug finden wird. Beinharte Tom-Waits-Fans hingegen finden den Gesang auf “Closing Time” dann wiederum fast zu lieblich. Diese Debüt-Scheibe entstand nämlich zu der Zeit (1973), als Waits’ Gesang noch zahm war.
Missverstanden wurde “Closing Time” damals dennoch. Das “Rolling Stone”-Magazine beispielsweise verglich Waits’ Debüt-Album mit Randy Newman. Weiter weg konnten sie nicht sein. Die Platte ist eher eine pianogeschwängerte Ode an die Liebe, den Jazz und den Sonnenaufgang. Mit “Ol’55” als erstem Track (und auch als Singleauskopplung) setzt Waits, der sein Album vom ehemaligen “Lovin’ Spoonful”-Mitglied Herry Yester hat produzieren lassen, eine Marke für den Rest des Werkes. Laid back and lovely geht es zu, meist balladesk, immer voller Leidenschaft.
Das Midtempo wird bis auf “Ice Cream Man” kurz vor Schluss niemals überschritten, “I Hope That I Don’t Fall in Love with You”, “Rosie” oder “Martha” sind sogar grandiose Schmachtfetzen. Musik, die heute so nicht mehr gemacht wird und Waits danach auch nicht mehr wirklich oft abliefern konnte.
Die Platte hat einen wunderbaren Spannungsbogen, auch eine Eigenschaft, die zu Shuffle-Ipod-Zeiten zu vernachlässigen ist. Wunderschöne leidenschaftliche Songs geben sich die Klinke in die Hand bis Waits kulminierenderweise die Nacht, die Träume und Sehnsüchte beendet, um über “Little Trip to Heaven (On the Wings of Your Love)” und “Grapefruit Moon” zur “Closing Time” zu gelangen. Ein Instrumental, welches selbst den tumbesten Hörer überdeutlich vermittelt, dass dieses Erlebnis zu Ende ist.
Wie wichtig dieses Debütalbum war, zeigen auch die Coverversionen von Tim Buckley (Martha – hübsch), Meat Loaf (Martha – sehr schlimm!), Sarah McLachlan (Ol’ 55 – ok) oder den Eagles (Ol’ 55 – too much fucking Country). “I Hope That I Don’t Fall in Love with You” wurde dann leider auch noch von Bon Jovi in einer Episode von Ally McBeal verhunzt.
Sollten einmal mordlüsterne Aliens auf der Erde landen und in Eurem Plattenschrank “Closing Time” finden, ist Euer Überleben gesichert. Wer solche eine Scheibe besitzt, kann kein schlechter Mensch sein…
Obwohl diese Scheibe auf Vinyl mehr Zauber entfacht, gibt es HIER den Spotify-Link!
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.