Andrzej Stasiuk: Die Welt hinter Dukla

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Warum ein ganzes Buch – in Romanform – über ein altmodisches, graubraunes Dorf in Südpolen, nahe der Karpaten, rund 2.000 Bewohner groß, die „Ouvertüre zum leeren Raum“, mit einer Handvoll Straßen, einem Marktplatz, einer Kirche, einem Kloster, der Grundmauern einer Synagoge, drei Kneipen, zwei Brücken, dem Busbahnhof, wo niemals mehr als zwei Fahrzeuge stehen, ein paar Geschäften, dem Museum der Waffenbrüderschaft, einem Fotografen und zwei Tierärzten? Deshalb, weil der Ich-Erzähler in Andrzej Stasiuks „Die Welt hinter Dukla“ schwer betört ist von seiner einstigen Heimat, in die er, allein oder mit Freunden, immer und immer wieder temporär zurück kehrt und fest beteuert: „Jedesmal wenn ich in Dukla bin, ist etwas los.“ Nicht etwa knisternd-erotische Liebesszenen, keine familiäre Streitkultur, keine Kriminalgeschichten oder dunkle Geheimnisse aber sind es. „Ich komme immer wieder in dieses Dukla zurück, um es bei unterschiedlichem Licht, bei unterschiedlichen Tageszeiten anzusehen.“ Um das Licht also, seine Abarten und seine Ewigkeiten geht es ihm, Handlungen dagegen – „Vergebung der Sünden, Mutter der Dummen“ – interessieren kaum, und wenn, „dann nur deshalb, weil sie das Licht brechen, weil sie es gestalten und ihm eine Form verleihen, die zu begreifen wir imstande sind“. Schwere Kost. Fast kleinlaut erklärt er sich, vergesslich zu sein, nicht von Klugheit gesegnet, um Korrelationen und Kausalitäten zu bilden, oft den Faden zu verlieren, ob all der Menschen mit Namen und Kindern, Frauen und Männern und Vergangenheiten und Schicksalen. So also lässt Stasiuk seine Hauptfigur jenseits geschlossener Geschichten frei schweben, Bier trinken, auf dem Marktplatz stehen und Dukla dabei zum „Omphalus des Universums“, dem Nabel der Welt, auferstehen. Und er erzählt dies (in der Übersetzung von Olaf Kühl) in grandios unverbrauchten Bildern (die nur selten zu viel wollen) und „immer scheint etwas durch, schwimmt an die Oberfläche wie ein Tropfen Olivenöl, opalisiert, schillert und lockt wie Teufelswerk, wie ein Irrlicht, eine unendliche Verführung“. Schließlich findet sich in Stasiuks poetischer (und ansteigend philosophischer) Welt um ein verschlafenes Nest, welches der Erzähler nur zu gern vor Modernisierung und touristischer Belagerung bewahren möchte, doch auch Raum für einzelne Liebeserklärungen an Großvater, Großmutter und das Mädchen im weißen Kleid. Ganz frei von Konventionen bleibt der Autor trotz aller Gelübde, kein Versprechen auf eine klassische Eröffnung und Hoffnung auf einen Abschluss zu liefern, nicht, denn: „Am Anfang war die Dunkelheit“ und schließlich „wenn alles vergeht, bleibt noch der Himmel“. Dazwischen ist Licht. Und das „Vergrößerungsglas Dukla, der dunkle Raum zwischen Okular und Objektiv des Fernrohrs“, ein Mikrokosmos stellvertretend für die Welt. Diesen Blick sollte der Literaturfreund wagen, besser sogar den 142-seitigen Stoff laut vorlesen, damit kein Exponat, Mülldepot und keine Florfliege an ihm vorbei rauschen (speziell im letzten Drittel, wenn der Geist von so viel sprachlich Neuem, großer Metaphorik und so wenig inhaltlicher Bewegung schier zu erschöpfen droht). Den Reiseführer Polen ersetzt das Werk nicht.
Süddeutsche Zeitung/Bibliothek 2007 / Suhrkamp Verlag 2000

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