Jeffrey Thomas: Tagebuch aus der Hölle

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Gute Menschen erlangen nach ihrem Tode Erlösung im Himmel. Und die weniger braven und netten Gesellen? Denen nimmt sich natürlich der Teufel an. Glaubten wir. Denn dass dies Konstrukt nichts weiter ist als irdischer Irrglaube, lehrt uns Jeffrey Thomas‘ „Tagebuch aus der Hölle“: Statt des populären Beelzebubs ist Gott doch Alleinherrscher über alles Leben (und die untoten Seelen eben auch). Und beim himmlischen Vater gilt: Wer sein Leben nicht als Christ beendet, der braucht nicht mit Gnade zu rechnen. Da fallen selbst vor ihrer Taufe verstorbene Babys oder entwicklungsgestörte Erwachsene durchs Raster. Christ ist Christ – und der ganze Rest höllischer Abfall.

Gleich nach dem Ableben geht’s für alle Ungläubigen direkt in die Grundausbildung an der Avernus-Universität. Geführt von Damönen, die vom Schöpfer allein für die Qual der Gottlosen eingesetzt sind. Und genau hier beginnt der Protagonist, ein erfolgloser, von der Frau betrogener Schriftsteller, der zu Zeiten seines körperlichen Daseins Agnostiker war und sich selbst das Leben nahm, mit seinen Tagebucheinträgen. In einem aus lebendiger Haut gebundenen Schulbuch, aus dessen Einband ein Auge starrt, das ihm später noch Freund werden wird.
Nach seinem „Diplom in Selbsthass und Magister in sinnloser Reue“ wird der Hauptakteur hinaus in den Höllenalltag geworfen. Sein Weg führt durch einen Wald, eine surreale Welt, die ihn selbst an den Zauberer von Oz erinnert und den zeitgenössischen Leser vielleicht auch ein bisschen an das Szenario in der „Hunger Games“-Arena. Hier trifft er auf die gekreuzigte Dämonin Chara, offensichtlich vergewaltigt von ihren Peinigern, dessen menschliche (und vor allem erotisierende) Gestalt ihn so sehr fesselt, dass er trotz seiner Angst vor dem Feind Hilfe leistet. Schließlich erreicht er Oblivion, eine Stadt unter Lavahimmel, erbaut aus schwarzem Metall, in deren Luft der widerliche Gestank von brennendem Fleisch aus den Folterfabriken hängt. Eine Höllenstadt, erbaut für die Verdammten, die sich ihr niemals endendes Leben wie auf Erden hart erarbeiten müssen, die ohne reguläre Körperfunktionen Hunger und Durst empfinden und deren unsterbliche Körper sich nach jeder dämonischen Folter selbst regenerieren, von unerträglichem Schmerz begleitet. Mehr und mehr scheint sich der Protagonist seinem Schicksal zu beugen, doch ist es ausgerechnet die exotische Chara, die ihn seiner Anpassung entreißt und zur Flucht verleitet …

Brötchen und Bier im Lavaregen – Wahrscheinlich nie hat sich so viel bekannter Alltag in einer Höllenbeschreibung wiedergefunden und zugleich so viel schriftstellerischer Einfallsreichtum. Jeffrey Thomas hat´s einfach drauf, Phantasiewelten zu erschaffen, das zeigen vor allem seine Episoden aus „Punktown“. In „Tagebuch aus der Hölle“ braucht es ein paar Seiten, um in die Geschichte hinein zu finden, der Einstieg in kurzweilige Storys liegt dem Autor besser. Doch der Spannungsbogen ist schnell gespannt, das Lesetempo erhöht sich automatisch und der Leser wird das Buch kaum mehr beiseite legen, bevor er den letzten Satz verschlungen hat. Der Amerikaner beherrscht sein Metier, ohne Schnörksel belegt er seine Schauplätze mit gruseligem Betrieb, kann Beklemmung erregen ohne notwenigen Splatter. Wenns aber spritzt, dann spritz es eben auch. Dank Thomas fährt der Kopf Achterbahn, schweben die Gedanken ins Wolkenkuckucksheim der Unterwelt. Wen die Begattung eines Flügelwesens überraschend erregt und das Treiben der „Hells Angels“ – der bösen Engel, die mit ihren weißen Kapuzen zum Spielen in die Hölle kommen, dort mit Harpunen über die Blutmeere jagen oder sich zum „Drive-by-Shooting“ auf die Motorräder schwingen – in großes Gelächter versetzt, der ist von Jeffrey Thomas‘ Schreibe längst gefangen. So wie ich. Fünf von sechs Lesezeichen. Und das nur, weil Punktown nicht schlagbar ist.

Jeffrey Thomas: Tagebuch aus der Hölle, 264 Seiten, 13,95 Euro, Festa Verlag Leipzig / 2011;
die amerikanische Originalausgabe „Letters from Hades“ erschien 2003 im Verlag Bedlam Press.

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