Corey Taylor: Die sieben Todsünden

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Bei einer Portion Sushi pflanzte sich bei Mr. Corey Taylor, Frontsänger von Slipknot und Stone Sour und besessen davon, „der Welt eine Botschaft zu verkünden, ein vollkommen neues Genre zu gebären“, der Gedanke in den Kopf, statt einer „protzigen Lernt-mich-kennen-Autobiographie“ mit dem lasterhaften Wesen von Zorn, Lust, Eitelkeit, Trägheit, Neid, Gier und Völlerei zu brechen. „Ich verfasse hier kein Tagebuch, um mich von allem zu säubern, ich erläutere die Sünden und den ganzen Scheiß, der damit zusammenhängt.“ Mehr noch, erklärt der Autor das theologische Dogma der sieben Todsünden für unzeitgemäß und entwickelt eine moderne Liste. Aber dazu später mehr.

Kapitel für Kapitel werden die vermeintlichen Delikte abgearbeitet. Dazu gehören für den Musiker Lebensweisheiten und -geschichten im biblisch-himmlischen („halte die Heilige Maria in Ehren“) wie im fleischlich-irdischen Sinne, so etwa, dass jede Balz erfolglos sei, „wenn Torpedorohr Nummer 1 geflutet und bereit zum Abschuss ist“ oder schlicht, „wenn du kacken musst“. Würg. Damit dürfte der durchschnittliche Geistliche bereits auf den ersten Seiten aus dem Leserkreis ausgeschlossen werden. Dabei ist Taylor doch überzeugt: „Der Kampf um das Gute beginnt, wenn die ganz große Scheiße abgeht.“ Dem Guten und noch vielmehr dem Bösen geht er denn im Folgenden auf die Spur, beantwortet die wirklich wichtigen Mysterien des Lebens („Was zum Teufel hat Gott gegen das Ficken?“ oder auch „Wer brachte Sodom nach Gomorra?“), breitet ausschweifend diverse sexuelle Experimente aus („Ich habe in Millionen Gesichter geschaut und einige hunderte davon gebumst.“) und plaudert im bissig ungenierten Stile über viele viele Belanglosigkeiten. Erfrischend zu konsumieren, doch inhaltlos, zunächst. Denn im weiteren Verlauf bietet das Büchlein plötzlich Platz für ernste Themen. So rechnet der Hobby-Schreiber mit Reality-Formaten und Künstlerkollegen ab, analysiert die weibliche Emanzipation, setzt sich ein für gleichgeschlechtliche Beziehungsformen, wettert gegen egomanischen Materialismus und das politische Zweiparteiensystem (gierige, gewissenlose Republikaner vs. Pussy-Demokraten), nimmt die Konsumindustrie auf die Schippe ebenso wie die Fettleibigkeit der Amis. Nahrung, Fernsehen und natürlich Musik beschäftigen Taylor ohnehin durch alle Geschichten hindurch – was ihn authentisch und sympathisch macht. In all dieses ambivalente göttlich-versaut-kluge Gaststättengeschwätz streut er denn noch persönliche Lebenserfahrungen, die Teile aus seinem Leben offenbaren – Aufatmen für seine Fans – und rekonstruiert seinen eigenen Sündenfall: „Die Musik und das Schreiben ermöglichten mir, den Zorn los zu werden, der sich in meinem Herzen staute. In der Pubertät konnte ich mich dank meines netten Erscheinungsbildes voll und ganz der Lust hingeben. Der Neid und die Gier ließen mich über die Enge des Lochs hinausblicken, das ich Zuhause nannte. Durch die Gefräßigkeit wurde mir klar, dass ich alles wollte, und zwar jetzt. Eitelkeit bedeutete, die zerschlissenen Klamotten nicht allzu viele Tage hintereinander zu tragen. Nur die Faulheit stand nie auf meiner Liste.“ Wenn er seinen neuen Todsünden-Katalog enthüllt, wird es schließlich richtig bedeutungsschwanger, stehen darauf doch Mord, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Folter, Diebstahl, Lüge und – naja schlechte Musik. Letzterer Punkt und das Schlusskapitel dienen wohl der Wiederauflockerung und unterstreichen den Charakter des gesamten Buches. Bleibt am Ende nur die Frage: Meint der Typ das alles ernst? Um es mit Mr. Tayler zu beantworten: Scheiß doch drauf! „Der Mist überzeugte auf zwei Ebenen – der absoluten und der vollkommenen Brillanz.“ Lesenswert ist es trotz zwischenzeitlicher Verwirrungen jedenfalls, wenn auch keine neue Bibel, immerhin so (angenehm) verstörend wie die Slipknot-Bühnenshows. Nur die zahlreichen Druckfehler sind eine echte Sünde.

256 Seiten; Hannibal; August 2011

 

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